Vara, Eta Carinae, Planetenzeit 00.15 ECT
Die Drinks schmecken heute nicht, irgendwie staubig, verwässert – ekelhaft. Soweit die Feststellung des Gastes im „Fall-Out“, die eine lange Verkettung von Ereignissen nach sich ziehen sollte. Vico hatte aufgrund eben jener Feststellung ungewohnt früh die Lust am Tresen verloren, ein Griff in die Lederjacke, ein Aufleuchten im Mund, eins der neuen Systeme – „Identifikation positiv!“ – der PTT-Stick wanderte Richtung Barkeeper. Ohne Gruß wurde der Laden verlassen und hinaus in die typisch laue Nacht getreten, angenehm vom Klima ausgehend, beschissen betreffend die Gegend.
Schmale schmutzige müllverzierte Gassen, ab und an die Enge der Hochkomplexe aufgebrochen durch breite Leitstraßen mit Magnettransferbahnen. Pennersuiten in Müllcontainern, welche wie überall halb in den Gebäuden versenkt installiert sind, offen stehend hätte bestimmt lange jemand die Idee gehabt, das Metall der Container bei einem Schrotthändler zu verkaufen, genügend zu allem fähige gescheiterte Existenzen gab es vor Ort gleich mehrere um jede Ecke.
Das war Hellknight`s Welt, er fühlte sich wohl. Hier war er aufgewachsen, hatte sich mit allen nur denkbaren Schandtaten die Kohle organisiert, um einen gebrauchten Jagdflieger zu kaufen, nicht ohne vorher dem „Don“ des ghettoviertels jahrelang die Füße geleckt zu haben. Belohnung für diese Erniedrigung: die Einschleusung in diverse Flugkurse und recht passable gefälschte Papiere. Vico Knight hatte es geschafft, aus dem Dreck zu den Sternen!
Es war ein von Strapazen und Verbrechen gezeichneter schwerer Weg gewesen und das Beschreiten desselben hatte den Piraten zu einem steinharten skrupellosen Bastard gemacht.
Jetzt war er fast vierzig, seit zwölf Jahren im All, doch wieder und wieder kehrte er hierher zurück, meist nur für ein paar Tage, ein wenig Absteigen, Drinks ziehen, nichts weiter. Im lokalen Geschäft war der Pirat seit Jahren nicht mehr tätig, trotzdem gastierte er häufig beim Sohn des alten „Don`s“, hauptsächlich weil der froh war, seinen ergrauten Vater einige Abende beschäftigt und fern von den lange durch ihn selbst übernommenen Geschäften zu wissen.
Gerade in den vergangenen zweieinhalb Monaten war Vico oft hiergewesen, das schien unüblich im Rückblick auf die letzten zwölf Jahre und hatte begonnen gleich zwei Wochen nach seinem Eintritt in die USS. United Starfleet Schurirn. Hellknight hatte es nötig ins Ghetto, in heimatliche vertraute Gefilde, zurückzukehren, um sich vom Gelaber dieser Lackaffen zu erholen. Vorschriften, Vorgesetzte, Direktiven, Bürokraten.
Langsam schritt der altgediente Pirat die Gosse entlang, sog den stinkigen stickigen Duft „seiner“ Straßen ein. Bei der glutheißen Sonne seiner Heimat, einige Männer seiner Crew würde Hell liebend gern erwürgen, sobald er ihre Fressen sah. Man hatte ihm keine Möglichkeit gelassen bei der USS, Einfluß auf die Zusammenstellung seiner Crew zu nehmen. Ergo war er gezwungen mit Vorschriftenfetischisten, Sesselpupsern ohne Kriegserfahrung, Weicheiern und ECA Akademieabsolventen zusammen zu arbeiten. Zum kotzen! Selbst der Teil der Mannschaft mit einigen Kampfflügen auf dem Konto war in keinster Weise vergleichbar mit den rauen Hunden, die Vico von seinen ehemaligen Piratencrews gewohnt war.
Nicht mehr weit bis zu seiner Bude, eine schäbige Unterkunft in einem billigen Kettenhotel, einmal abbiegen, Gasse durch bis zur Leitstraße, dort der fünfte Wohnsiloblock. Vico Knight bog physisch auf der Straße anwesend, in Gedanken auf seinem Schiff um die Ecke. Einzig seine Jugendzeit inklusive entsprechender Erfahrungen auf der Straße rettete seine Gesundheit in dieser Nacht, sein Instinkt funktionierte zum Glück noch genauso wie früher, ließ ihn trotz mentaler Abwesenheit die drei Gestalten bemerken, die sich aus dem Schutz eines Müllcontainers schälten als der Einzelgänger in die düstere Gassenenge trat.
Die lächerliche Crew wurde erstmal vergessen, Hellknight grinste stumm statt zu erschrecken, eine Reaktion, die nur von einem abgebrühten Dreckschwein ausgehen konnte, die meisten Menschen dieses Viertels hätten sich wohl als allererstes in die sowieso schmutzige Hose geschissen.
„Es hat sich im Südslum seit damals nichts verändert“, dachte der Pirat angesichts der lage, „noch immer ist es leicht zu sterben – und schwer zu leben.“
Gemessenen Schrittes trat er auf die wie abgerissene Junkies wirkenden Drei zu, sie hatten sich im Schein einer diffus funzelnden Lampe postiert, sperrten den Weg zur Leitstraße hin.
„Wow! Sieh an Sputnik, da rennt der Kleiderständer meiner neuen Jacke!“
Der Anführer der Straßenräuber bemühte sich offensichtlich, besonders cool zu wirken, seine Kumpane belohnten ihn auch prompt mit schmierigem Lachen für den gezogenen Spruch. Vico blieb in ungefähr zwei Meter Abstand lässig stehen.
„Fett, für die Stiefel drückt uns Ralph sicher zwei Gramm ab!“, wagte der links Stehende seinen Boss nachzueifern, mit mäßigem Erfolg. Der kam jetzt gleich zur Sache:
„Ich will dein Geld, deine Jacke und deine Stiefel alte Schwuchtel!“
Dabei zog er ein schartiges Messer und erwartete Furcht sowie Zuspruch, beides aber wollte Mr. Knight der Abschaumversammlung nicht geben.
Ein Gedanke: „Du kleiner Punk bist doch keine Zwanzig! Wenn ich mit dir fertig bin, musst du Windeln wechseln!“ – Vico hatte keine Lust, noch einen abgewetzten Spruch anzuhören, jetzt bin ich dran!
„Zuhören Kinder! Wer noch keine Lust hat zu sterben, der darf jetzt heim zu Mama laufen! Was denkt ihr euch überhaupt, wisst ihr nicht wer ich bin?“
Der Pirat schob das Kinn grimmig vor und hielt sein Konterfei publikumswirksam in den schalen Lichtstrahl.
„Gugg an Sputnik, der Opa ist mutig!“
Die Junkies hatten offensichtlich nicht kapiert, oder waren zu vollgedröhnt um dazu in der Lage zu sein. „Wer biste denn, dass wir so zittern sollen?“
„Hellknight.“ Ohne weiteres Kommentar. Schließlich sagt das auch alles.
„Hellwas? Nie gehört!“, die Kumpane des Sprechenden bestätigten seine Aussage per Kopfschütteln, „Nur besonders helle scheinst du nich ze sein, oder iss das Galgenhumor? Meine Jungs mischen dich gleich auf wenn de deinen Kram nich rausrückst!“
Zuerst hatte Vico gedacht, die Nennung seines Namens würde ihre Wirkung tun, so war er es gewohnt. Das Ausbleiben des Erwarteten erinnerte ihn aber schnell an etwas. Er war es so gewohnt, von früher, damals zu seiner Straßenzeit hier im Viertel. Nur war heute eben nicht damals – und früher war lange vorbei. Der alte Pirat wurde hart daran erinnert, dass seine ehemalige Hochzeit vorbei war, kein Arsch kannte ihn mehr.
Ehemals war er einer der großen der Straße gewesen, ein gewissenloses und gerade dafür bekanntes Schwein, Mörder, Verbrecher, Drahtzieher. Schon bald nach dem Start seiner Raumpiratenkarriere war er nahezu jedem Kopfjäger im Eta-Carinae bekannt, und wurde keinesfalls unterschätzt. Ohne Frage stand sein Schiff auch auf der Liste „roter Alarm“ der meisten Systemhändler, man machte sich auf zur Flucht in den Schutz eines größeren Raumhafens, wenn man ihn bei einem Sicherheitsscan in der Nähe des eigenen Pegasus entdecken konnte. Wenn...
Und nicht nur das – durch sein skrupelloses Auftreten gerade jungen Händlern gegenüber und durch Beziehungen zu Piraten im Miras war Hellknight sogar systemübergreifend gefürchtet, einer der besten Jagdflieger zu Zeiten einer blühenden Republik.
Doch ebenso wie die Blütezeit der Republik, war auch seine beste Zeit längst vorbei.
War gewesen. Vergleichbar mit einem überlebten Modetrend.
Doch das Verlieren seines systemweiten Rufes als Mörder und Psycho schloß den Verlust seiner Fähigkeiten ganz sicher nicht ein. Und das würden diese vorlauten Jungen jetzt zu spüren bekommen. Für weitere nostalgische Gedanken blieb später noch Zeit. Wie süß – die drei Schläger hatten jetzt alle Messer und Totschläger gezogen.
„Ich zeige euch jetzt, wer Hellknight ist Jungens!“
Versteckt im Jackenärmel hing seine Notfallknarre, eine Spezialanfertigung, jederzeit bereit zum Einsatz. Ein erfahrener Pirat wusste, wie man Überraschungen begegnete, durch eine ganz bestimmte Armbewegung, Druck per Muskelanspannung auf eine Schaltvorrichtung, würde die Waffe über einen Schlitten in die Hand des Trägers gleiten, durchgeladen, schussbereit.
Keine zwei Sekunden nach genau dieser Armbewegung fiel der „rechts Außen“ der gegnerischen Mannschaft mit Schwung nach hinten. Kopfschuß.
Der Linksstehende wollte schreien, aber dann verschlug es ihm doch die Sprache – es spricht sich so schlecht mit zwei Kugeln in der Lunge. Zum Gurgeln begleitet von Zappeln am Boden reicht es gerade noch, zumindest für ein bis zwei Minuten, bis der anatomisch bedingt unweigerlich einsetzende Hämatothorax die letzten schwächlichen Atemzüge abgedrückt haben würde.
„Scheiße!“ – ein Blick nach rechts, „Fuck!“, dann nach links auf den Zuckenden, „was bissen du fürn perverser Wixer???“ Panik in den Augen, Pisse in der Hose, ein warmer wachsender Fleck. „Du bist ein Irrer!“
„Ich bin vielleicht irre, aber mein Name ist nicht Wixer.“ Trockene Antwort.
„Ich bin Hellknight.“
Die Wiederholung der Vorstellung wurde begleitet von einem Schuß durch die Hand mit dem Messer, einem in den linken Fuß, einem ins rechte Knie. Wimmernd brach der kleine Gauner zu Boden, unfähig zu schreien, denn sein Gehirn konnte sich nicht entscheiden zwischen Angst- oder Schmerzensschrei. Vico schob beiläufig die Waffe zurück in den Jackenärmel, er würde das unfähige Großmaul nicht töten. Mit zwei Schritten war er bei ihm, ein Tritt ins Gesicht schleuderte den blutenden Körper auf den Rücken, ein weiterer Tritt in die Rippen, noch einer. Überlegen grinsend spuckte der Pirat auf das Häufchen Elend zu seinen Füßen.
„Hellknight! Merk dir diesen Namen! Klar du Scheißkerl?“
Mr. Knight hatte entschieden. Es war Zeit seinen komatösen Ruf zu reanimieren.
Mit zügigen Schritten verließ Vico Knight den Ort seiner Eskalation, ihm war völlig klar, dass die Hinrichtung von ein paar Straßenpennern nicht annähernd ausreichen würde um sein Ziel zu verwirklichen. Um ihn in diesem Viertel zum Gespräch der nächsten Tage zu machen allerdings schon. Kaum auf seinem Zimmer angekommen setzte er sein Portablekom auf, wählte Verbindung zu einer seit Monaten nicht mehr genutzten Nummer.
Als der Anruf angenommen wurde ließ Hellknight es gar nicht zu einer Begrüßung kommen.
„Hör zu Kumpel, mach alle von den alten Jungs scharf die du erwischen kannst, und zwar subito! Wir sehen uns am alten Treffpunkt. Bring ein paar Strohmänner an den Start, wir brauchen ein Schiff – und zwar etwas Großes! Alles verstanden?“
„Yes Maestro!“, da erklang kein Widerspruch ob der ruppigen Behandlung, es schien der Angerufene habe nur auf eine solche Aufforderung gewartet, ihn herbeigesehnt.
„Zeit die Vergangenheit zur Zukunft werden zu lassen!“
Begleitet von einem widerlich bösartigen Lächeln schaltete Hellknight sein Kom ab und begann seine Habe zu packen. Nicht mehr lange und er würde das fliegende Schmuckkästchen der USS gegen ein richtiges Schiff eintauschen, ein Piratenschiff.
Und das alles wegen einiger fade schmeckender Drinks…
(ooc: Fortsetzung im Laufe der Woche,
für Virsa und Duglum - weil ihr so oft nach sowas in der Art gefragt habt *kicher*)