Cyprine (*) schrieb am 11-09-2004 21:42:27 :
Ideal und Wirklichkeit
Das Hadessystem war das einzige von den Menschen besiedelte System, das einen Stern besaß, dessen Strahlung so schwach war, dass man sich mit einem Schiff in seine Nähe wagen konnte. Obwohl er schon bessere Tage gesehen hatte, sandte der Hades weiterhin mit der stoischen Gelassenheit, die den meisten solaren Himmelskörpern zu eigen war, sein bläulich-weißes Licht aus und erfüllte einige der ihn umkreisenden Planeten mit Leben. Corrheli war einer von Ihnen. Seine steinerne Oberfläche ließ ihn schon von weitem in einem sanften Rotbraun schimmern.
Cyprine ließ ihr Schiff, die Battlefield Elegy, den Planeten in einem weiten Orbit umrunden. Würde sie sich dem Hades weiter nähern würden ihre Schilde durch die Wechselwirkung mit der Strahlung des Weißen Zwerges in ein Farbenspiel getaucht werden, das in unregelmäßigen Abständen über ihr Schiff ziehen würde. Unter normalen Umständen hätte sie sich gerne diesem faszinierenden Phänomen hingegeben, aber sie war viel zu angespannt und wollte auch ihre Gefährtinnen nicht länger warten lassen, die sich bestimmt schon Sorgen machen würden.
Konzentriert lenkte sie den Jäger in Richtung der Koordinaten ihrer Heimatbasis, als sie einen geeigneten Anflugsvektor erreicht hatte. Langsam wurden immer mehr Einzelheiten der corrhelischen Oberfläche sichtbar. Schmale Canyons und breite Täler, von tektonischen Aktivitäten geschaffen und je nach Alter mehr oder weniger deutlich unter dem Einfluss des Windes zu runderen Formen geschliffen, konnte sie ebenso ausmachen wie Ebenen und Bergketten auf denen sich wohl nie eine Schneedecke bilden würde. Auch einige der größeren Kuppeln, in denen bis zu 50.000 Menschen Platz fanden, konnte man von bereits erkennen.
Cyprine senkte die Elegy während sie über eine Ebene glitt bis auf 30 Meter ab und verlangsamte das Tempo deutlich. Trotzdem wirkte die Geschwindigkeit so nahe der Oberfläche gewaltig hoch und es schien, als ob sie schon durch ein leichtes Zittern der Hand eine Katastrophe auslösen könnte. Das Gebirge, dem sie entgegenschoss tat das Übrige, um einen Laien in haltlose Panik zu versetzen. Doch Cyprine war kein Laie. Während sie weiter Tempo zurücknahm, raste sie in den Schatten eines ca. 40 Schritt breiten Canyons. Unter ihr richteten Erntedroiden ihre optischen Sensoren auf das Schiff aus, was über ihren kantigen Körpern hinwegfegte bevor sie sich erneut den Feldfrüchten zuwandten, die Dank ihrer Pflege und der Bewässerung in dem schattigen Canyon und seinen Nebenarmen gedeihen konnten.
Andere Sensoren hatten sie ebenfalls erfasst. Verbunden mit den in den Felsen verbundenen Phaserbatterien hätten sie erbarmungslos den Befehl zum Feuern gegeben, wenn die Battlefield Elegy nicht automatisch die erforderlichen Codes gesendet hätte, als sie die Reichweite der Sender der Basis erreicht hatte. Cyprine passierte die wenigen Engpässe des Canyons, der sich ansonsten durch einen sehr gleichförmigen Aufbau auszeichnete, was ihn zu einem idealen Standort für eine solche Einrichtung gemacht hatte, mit einer Leichtigkeit, die aus jahrelanger Übung geboren war.
"Taioron-Tower an die Battlefield Elegy. Wir haben Sie erfasst und übernehmen. Lehnen Sie sich zurück und genießen Sie den Flug." erklang eine dunkle, angenehme Stimme.
Cyprine bestätigte dem Autopilot, dass er die ankommenden Steuersignale akzeptieren konnte und entspannte sich. Der Tower würde sie automatisch in die in den Fels am Ende des Canyons gebaute Basis dirigieren und auf ein freies Landefeld lenken.
"Danke, Taioron Tower." bestätigte die junge Pilotin den Empfang der Nachricht.
"Willkommen zu Hause, Cyprine. Schau mal bei mir vorbei! Tower Ende."
Obwohl ihr eigentlich gar nicht danach war, musste sie unwillkürlich lächeln. "Etwas mehr Funkdisziplin, Dad… aber ich denke, dass lässt sich einrichten. Elegy Ende."
Während das Schiff langsam durch die Einflugsöffnung glitt, wie durch das metallene Maul eines gewaltigen Ungeheuers, holten sie jedoch schon wieder die trüben Gedanken ein. Man hatte sie gefangen genommen; wie eine Verbrecherin hatte man sie mehrere Tage festgehalten, ohne ihr einen Grund dafür zu sagen. Sowas konnte schon auf die Stimmung schlagen. In den vergangenen Wochen hatte sie die verschiedensten Güter transportiert und hatte damit durchaus gut leben können. Sie hätte sogar noch besser davon leben können, würden nicht so viele Piraten und Marodeure den Raum durchkreuzen oder gezielt anderen Schiffen auf den Handelsrouten auflauern. Und dann auch noch diese Kerkerung. Sie musste schwer schlucken und die Augen schließen, als sich die Erinnerung an diese Demütigung wie ein kalter Schatten um ihr Herz legte, während ihr gleichzeitig das Blut in die Wangen schoss vor Scham und Wut. Was taten die Regierungen denn schon, um solche Übergriffe zu verhindern? Wahrlich nicht viel; um nicht zu sagen gar nichts! Ihr Vater hatte vielleicht doch Recht. 'Wer sich an die Regeln hält ist selber Schuld' war einer seiner typischen Sprüche und so wie es aussah, war es wirklich verschwendete Liebesmüh, sich an Gesetze zu halten, die von Regierungen ausgesprochen wurden, die sich selbst nur so lange für ihre eigenen Regeln interessierten, wie es ihnen Vorteile bot.
Cyprine seufzte als sie die Kanzel des Jägers öffnete und die Sprossen hinab stieg. Früher oder später müsste sie mit den anderen darüber reden, wie sie sich ihren weiteren Weg vorstellten. Denn eines stand fest: Was auch immer sie tun würden, sie würden es gemeinsam entscheiden. Doch vorerst wollte sie den anderen nicht die gute Laune verderben. Und so setzte sie ein Lächeln auf, während sie unter einem Frachter hindurch auf den Rand des Landefeldes zuging, wo bereits ihre Kameradinnen auf sie warteten. Schon von Weitem konnte sie an der Haltung der vier erkennen, wer wer war. Eudial lehnte an der Wand, und tat so, als ob sie gar nicht warten würde. Trotzdem war sich Cyprine sicher, dass sie verstohlen aus dem Augenwinkel zu ihr hinübersah. Tellulu tippte irgendwas in ein Datenpad, während ihre Schwester Viluy lächeln neben ihr stand und ihr in diesem Augenblick sanft in die Seite stieß. Mimette hingegen winkte ihr frühlich zu und fiel ihr sofort in die Arme, sobald sie in Reichweite war. Auch die anderen –selbst Eudial - begrüßten sie herzlich. Während die Fünf gemeinsam in Richtung des kleinen Restaurants in der Nähe des Landefelds tauschten sie Neuigkeiten aus.
"Ich habe neulich Ororo Storm von den Battlecats getroffen. Oder besser sie mich." teilte Viluy den anderen mit."Die schießen auch auf alles, was ihnen in den Weg kommt." schnaubte Eudial. "Wie hat sie denn reagiert? Ich mein, war sie erstaunt zu sehen, wie du aussiehst?" wollte Mimette neugierig wissen und drängte sich an Tellulu vorbei, die weiterhin Daten in ihr Pad eingab. Viluy lachte: "Sie hat es gar nicht mitbekommen. Ich hab ihr noch eine Nachricht zugeschickt, aber auf die hat sie auch erst nach einer ganzen Weile reagiert – da war ich schon zwei Systeme weiter." "Vielleicht sind ihre optischen Sensoren nicht in Ordnung." überlegte Tellulu laut und blickte nachdenklich auf, während sie im Geiste mögliche Fehlerquellen durchging. "Meinst du die vom Schiff oder die von ihr?" merkte Eudial grinsend an, was bei den anderen Erheiterung auslöste. Eudial war die kräftigste der Fünf und fühlte sich instinktiv wie eine Beschützerin. Eine ihrer Eigenarten war es, immer als erste von ihnen in einen Raum zu gehen und die Lage zu sondieren. So tat sie es auch diesmal und steuerte dann zielstrebig auf einen kleinen Ecktisch in der Gaststube zu. "Meinst du, man kann sie ernst nehmen?" fragte Cyprine Viluy leise, als die anderen damit beschäftig waren, sich einen Platz auszusuchen. "Keine Ahnung. Sie machte nicht den Eindruck, aber vielleicht steckt ja doch mehr dahinter." antwortete Viluy. Cyprine wusste nicht, wie oft sie heute schon geseufzt hatte, aber sie tat es erneut. Noch etwas, über das sie nachdenken musste!