Lazarus Blake schrieb am 16-08-2010 15:36:09 :
Flashback
Maschinen. Maschinen haben einen nicht zu leugnenden Anteil am Dasein der Menschheit. Sie sind hilfreich beim erledigen der täglichen Arbeit oder verrichten diese selbstständig. Zu vielen Dingen wäre der Mensch ohne Maschinen überhaupt nicht in der Lage. Die Raumfahrt zum Beispiel gehört dazu. Ohne Maschinen wäre der Mensch allenfalls in der Lage, den Himmel zu beobachten. Maschinen sind eine Selbstverständlichkeit in der heutigen Zivilisation. Sie sind nicht mehr weg zu denken.
Nun ist allen Maschinen etwas gemein: Sie versagen hin und wieder ihren Dienst ein. Und meistens immer dann, wenn sie wirklich dringend gebraucht werden, was in manchen Fällen zu lebensbedrohenden Situationen führen kann. Und in einer ebensolchen befinde ich mich gerade. Oder besser gesagt wir. Wir, mein Schiff, ich und die komplette Crew. Naja, vielleicht nicht lebensbedrohlich, zumindest noch nicht. Aber doch beinahe.
Jeder, der schon mal mit einem Raumschiff mitten in ein Asteroidenfeld geraten ist, wird verstehen, was ich meine. Mit einem intakten Schiff ist das sicher kein großes Dilemma, aber mit einem Schiff, auf dem kompletter Energieausfall herrscht, ist das was anderes. Keine Energie auf den Antrieben, also kein Ausweichen, keine Energie auf den Schildgeneratoren, also keine schützenden Schilde. Die Notenergie reicht gerade mal für die Lebenserhaltung, künstliche Schwerkraft und für die Sensoren. Komische Sache. Was sich die Ingenieure dabei wohl gedacht haben? Wenn man schon stirb, sieht man wenigstens durch was oder wen – welch ein Trost.
Es ist schon ein merkwürdiges Gefühl, man kann es schlecht mit Worten beschreiben, wenn man diese Gesteinsbrocken auf sich zu rasen sieht und nichts weiter tun kann, als den Einschlag zu erwarten.
Noch hält die Spezialpanzerung. Da haben die Ingenieure bei der Konstruktion des Mk III mal was gutes getan. Aber mit jedem weiteren Einschlag scheint sie mehr nachzugeben. Das ganze Schiff ächzt und stöhnt. Bei jedem Einschlag erbebt es. Vermutlich trudelt es wie ein waidwundes Tier durchs All.
Ich weiß noch immer nicht, warum es zu dem Energieausfall gekommen ist. Die Ingenieure haben den Fehler noch nicht spezifizieren können. Bisher heißt es nur ‚Überlast’. Ganz toll! Wenigstens sind einige der Verantwortlichen mit an Bord. Sonst heißt es wieder, wir hätten es verbockt. Aber diesmal gibt es keine Ausreden. Mitgefangen, mitgehangen. Aber ein echter Trost ist das nicht. Ich hasse Testflüge!
Wir waren im Orbit eines Planeten, haben dessen Oberfläche katalogisiert. Alles reine Routine. Langweilig, wie ich hinzufügen möchte.
Die Sensoren melden eine Sonneneruption des Zentralgestirns. ‚Kein Grund zur Sorge’ versichern mir die Ingenieure. Neuartige Schilde machen es möglich. Mir ist nicht ganz wohl bei der Sache. Der 1O sieht mich etwas verunsichert an. Auch ihm ist die Sache nicht geheuer.
Die Schilde sind auf Maximum. Gerade noch rechtzeitig, schon rauschen die gewaltigen Energiemassen der Eruption heran. Die Schilde halten, ein unheimliches Knistern ertönt auf dem ganzen Schiff. ‚Kein Problem, das ist normal’, die Ingenieure strahlen.
Wenige Sekunden, die mir wie eine Ewigkeit vorkommen, später ist der Spuk vorbei. Statusbericht aller Stationen. Alle melden grün, volle Einsatzbereitschaft. Gut, scheinbar haben die Ingenieure Recht. Trotzdem werde ich das Schiff dem nie wieder aussetzen.
Schilde runterfahren, alles bleibt in Bereitschaft.
Erneut erbebt das Schiff. Der 1O, gerade auf dem Weg zum Brückenschott, wird von den Beinen gerissen. Dumpf schlägt er auf dem Boden auf, bleibt einen Moment benommen liegen. Bevor jemand reagieren kann, rappelt er sich wieder auf, flucht. Aus einer Platzwunde an der Augenbraue schießt Blut. Platzwunden sehen immer schlimmer aus, als sie sind. Der Sanitäter versorgt die Wunde. Allmählich wird die Lage brenzlig, die Panzerung wird nicht ewig halten.
‚Faszinierend. Einfach einmalig’, diese Euphorie der Wissenschaftler werde ich nie verstehen. Für mich ist das einfach nur ein Planet. Ein lebensfeindlicher noch dazu. Nicht mehr und nicht weniger.
Wir setzen unseren Flug fort. Langsam verlässt der Nighthawk die Planetenumlaufbahn. Die Wissenschaftler schwirren aufgeregt auf der Brücke herum. Sie bestehen darauf, sofort mit der Auswertung der Daten zu beginnen. Da ich Befehl habe, sie zu unterstützen, bleibt mir nichts anderes übrig. Zähneknirschend überlasse ich ihnen einen Teil der Ressourcen des Hauptcomputers. Dass sie ihn dermaßen auslasten, dass die Leistung des kompletten Systems sinkt, werde ich erst später erfahren. Ich hasse Wissenschaftler!
Die Meldungen aus dem Maschinenraum sind nicht sehr ermutigend. Der Energiekern hat eine empfindliche Entladung hinnehmen müssen. Zudem sind diverse Relais durchgebrannt. Zwei wichtige Energiekopplungen sind auch hinüber. Mit Bordmitteln nicht zu beheben. Schildgeneratoren außer Betrieb, siehe Energiekopplungen. Großartig.
Und die Triebwerke? Laut den Ingenieuren haben die Sicherungssysteme, die sie schützen sollten, versagt. Sie können sich keine Reim darauf machen wieso. Möglicherweise können sie ein Triebwerk wieder flott machen, aber nur mit erheblich verringerter Leistung. Ich hasse Ingenieure!
Der Alarm schrillt. Kollisionswarnung. Ein riesiges, weit ausgedehntes Asteroidenfeld ist vor uns wie aus dem nichts aufgetaucht. Eintritt in etwa 30 Sekunden. Die verminderte Leistung der Schiffssysteme. Verdammt, hätte ich doch nur... Ich hasse Vorgesetzte!
Gegenschub, Ausweichmanöver, Schilde auf Maximum. Die Maßnahmen werden sofort eingeleitet, noch bevor der Befehl ergeht. Eine eingespielte Mannschaft, jeder weiß, was er zu tun hat. Die Entwickler- und Forscherteams, sofern sie sich noch auf der Brücke befinden, sind kreidebleich im Gesicht. Das Schiff wird langsamer, stoppt fast augenblicklich. Dann geht ein Vibrieren durch den Nighthawk, das sich zu einem Beben steigert, das uns fast von den Beinen reißt. Im gleichen Augenblick wird es stockfinster. Kompletter Energieausfall. Die Notenergieversorgung springt an. Einer der Wissenschaftler ist in Ohnmacht gefallen, seine Kollegen kümmern sich um ihn. Mir wird klar, dass wir uns in höchster Gefahr befinden. Die Meldungen bleiben aus. Das Kommunikationssystem ist ausgefallen. Fürs erste hilft nur ‚alle Mann festhalten’. Die ersten Einschläge erschüttern das Schiff.
Omaha wird blass. Der Crewman an den Sensoren hat einen hellen Teint, aber nun weicht auch das letzte bisschen Farbe aus seinem Gesicht. Er hat verschiedene Asteroiden ausfindig ausgemacht. Einen Zusammenprall werden wir vermutlich nicht überleben. Ich hasse Asteroiden!
Wenn uns nicht schleunigst etwas gescheites einfällt, ist es aus. Der 1O hat sich einigermaßen berappelt. Ich überlasse ihm das Kommando und mache mich auf in den Maschinenraum, den verdammten Ingenieuren Beine machen.
Der Nighthawk sieht übel aus. Überall in den Gängen hängen Kabel herum, die Wand- und Deckenverkleidungen haben sich gelöst, die Platten liegen in den Gängen herum. Geborstene Verstrebungen ragen, wie gesplitterte Knochen aus dem Fleisch, in die Gänge. Einige der Träger haben sich verzogen. Hoffentlich halten die. Ich habe die Strecke gut zur Hälfte geschafft, als der Nighthawk erneut erbebt. Ich habe Mühe, mich auf den Beinen zu halten. Die Träger knirschen gefährlich.
Das Schott zum Maschinenraum klemmt, es rührt sich nicht einen Millimeter. Verdammt. Ich zwänge mich durch den Spalt, den das zu einem Drittel offen stehende Schott bietet. Als ich endlich im Maschinenraum stehe, bietet sich mir ein Bild vollkommener Verwüstung. Teils hausgemacht, teils den Einschlägen geschuldet.
Zwischen zerlegten Maschinen, umher baumelnden Kabeln und herumliegendem Werkzeug sitzen die Herren Konstrukteure im Kreis zusammen, diskutieren und schieben sich gegenseitig die Schuld zu. Die einzigen, die tatsächlich arbeiten und versuchen zu retten, was zu retten ist, ist das etatmäßige Maschinenraumpersonal. Mein Leitender Ingenieur steckt mitten in den Triebwerkskontrollen, nur seine Beine schauen heraus.
Das Funkgerät in meiner Hand knarzt. Die Stimme des 1. Offiziers ist zu vernehmen, seine Neuigkeiten sind nicht gerade ermutigend. Wir sind noch immer auf Kollisionskurs. Wir brauchen dringend die Kontrolle über die Steuerung zurück.
Normalerweise bringt mich so schnell nichts aus der Ruhe, aber diesmal platzt mir der Kragen. Meine Leute schuften, um das Problem zu lösen und die Verantwortlichen sitzen herum und beschuldigen sich gegenseitig.
Nachdem ich meinem Ärger Luft gemacht habe, geht es mir besser. Der Lösung sind wir dadurch zwar nicht näher, aber ein wenig Druck ablassen, hilft schon, besonders dann, wenn er auch noch die richtigen trifft.
Erneut knarzt das Funkgerät, wenige Sekunden später wieder ein Einschlag. Direkt neben mir platzt eine Druckleitung. Nur meiner schnellen Reaktion ist es zu verdanken, dass ich keine Verletzungen davon trage.
Dafür kommt mir aber eine Idee. Ich weiß nicht, in wie weit sie umsetzbar ist, aber ein Versuch ist es wert. Und wenn es schief geht, bleibt eh nicht viel Zeit, sich darüber zu ärgern.
Mein Leitender Ingenieur, den ich unter Protest aus den Triebwerken herausziehe, runzelt die Stirn. Könnte klappen. Aber es gibt nur einen Versuch. Aber viel wird es auf keinen Fall bringen, allenfalls ein paar Grad.
Das würde reichen. Selbst eine kleine Veränderung der Flugbahn würde in der momentanen Situation ausreichen. Aber wir müssen uns beeilen, viel Zeit bleibt nicht.
Das nächste Problem stellt sich prompt ein. Da die Automatik nicht funktioniert, wird einer von uns die Sprengung manuell auslösen müssen. Ich werde es tun. Der LI protestiert. Er sei der Ingenieur und deswegen für die Technik zuständig. Doch ich lasse mich nicht umstimmen. Zähneknirschend eilt er neben mir her zum Hangar. Es bleibt nicht mehr viel Zeit.
Ein Donnern und Beben erfasst das Schiff. Wir werden beide von den Beinen gerissen. Die Stimme des 1O klingt verzerrt aus dem Funkgerät. Die Bugpanzerung ist durchschlagen. Noch ein Treffer und die Hülle wird nachgeben. Wir rappeln uns hoch, hetzen dem Ziel entgegen.
Einmal noch durchatmen, den Helm aufsetzen. Ich kann nur hoffen, dass ich den Raumanzug in der Eile richtig verschlossen habe. Durch das Schott sehe ich den LI. Er ist besorgt. Ich nicke ihm zu, löse dann die Sprengung aus.
Ein paar grelle Blitze und das Hangartor wird aus seiner Verankerung gerissen. Im selben Augenblick schon spüre ich, wie die ausströmende Luft an mir zerrt. Ich habe Schwierigkeiten, mich festzuhalten. Ich muss mich nur solange halten, bis Druckausgleich hergestellt ist. Ich klammere mich mit an den Haltegriffen fest. Die Hände beginnen zu schmerzen. Die Luft entwickelt eine ungeheure Kraft. Ich kann mich nicht halten, die Griffe entgleiten meinen Händen. Ich werde ins All hinausgeblasen, schlage dabei hart an der Lukenöffnung an. Ich spüre den Schmerz. Dann wird alles schwarz.
Ich schlage die Augen auf. Ich liege auf der Pritsche in meinem Quartier an Bord der SdN Death of a clown.
Wieder einer dieser Flashbacks. Wird Zeit, etwas zu unternehmen. Ich hasse Flashbacks!