Xenia schrieb am 30-12-2010 12:50:25 :
Ein Piep und die Folgen
Sehr zu ihrem Leidwesen war es ihr nicht möglich, das gesamte Gespräch zu verfolgen, sosehr sie auch lauschte. Sie schnappte nur Gesprächsfetzen auf.
„Nein, das klappt so...“, Xenia erkannte die etwas nasale Stimme von Andretti sofort.
„Bist du so... nein, auf keinen Fall... Oxana...“
Wieder nur Andretti. Entweder er sprach mit jemandem über ein Headset, oder aber der Antwortende sprach dermaßen leise, dass seine Stimme nicht durch die gewaltigen Türen drang.
„Wir können die beiden... ich weiß doch auch nicht, was sie wissen – noch...“
Das Gespräch drehte sich eindeutig um sie, dessen war Xenia sich sicher. Sie war dermaßen ins Lauschen vertieft, dass sie nicht mitbekam, dass Aya sie ansprach. Deshalb zuckte sie erschrocken zusammen, als Ayas Stimme laut hinter ihr ertönte.
„Psssscht!! Bei dir piept’s wohl! Sei leise“, fauchte sie die junge Frau an, die erschreckt einen Schritt zurück gemacht hatte, dann aber einen entschlossenen Gesichtsausdruck aufsetzte.
„Ja, ganz genau! Das wollte ich dir ja gerade sagen“, fuhr sie in unverminderter Lautstärke fort.
Hinter der Tür waren Schritte zu hören und Xenia versetzte Aya einen Schubs an der Schulter. „Los, weg hier!“
Leise huschten die beiden Frauen den Flur entlang um die nächste Ecke und blieben stehen. Jetzt erst wurde Xenia des Gegenstandes in Ayas Händen gewahr, der noch immer ein nerviges Piepen von sich gab.
„Was...?“
„Ja, das wollte ich dir zeigen. Habe ich gefunden – da hinten“. Sie zeigte in Richtung der Kommode, die etwa 10 Meter entfernt stand. „Warum hast du...? Nein, ich will’s gar nicht wissen. Und was ist das nun?“ Sie sah abwechselnd zu Aya und zu der Kiste in Ayas Händen.
„Weiß ich nicht. Ich dachte, du hättest vielleicht eine Idee“.
Xenia schüttelte langsam den Kopf. So etwas hatte sie noch nie gesehen. Auch wenn ihr das Piepen zu denken gab. Warum sollte eine einfache Kiste solche Töne machen, noch dazu mit einem roten Licht verziert. Irgendwie hatte sie plötzlich ein mulmiges Gefühl. Rot hatte immer eine Bedeutung. Verbot? Gefahr? Warnung? Sie war sich nicht ganz sicher. Und warum sollte Andretti so ein Ding hier rumliegen haben? Und dann noch so, dass sie es finden konnten. Das war alles ziemlich seltsam.
Stimmen im Gang, aus dem sie gerade gekommen waren. „Los, weiter!“ Xenia winkte Aya weiter zu gehen. Erneut liefen die beiden durch die schier endlosen Gänge des riesigen Hauses.
Als sie um eine weitere Ecke bogen, prallte Xenia von einem Schrank zurück. Zumindest dachte sie, es wäre ein Schrank. Wäre Aya nicht hinter ihr gelaufen, sie wäre rücklings umgeschlagen. Vor ihr stand ein Mann. Mindestens 2,40 Meter groß und fast genauso breit, schätzte Xenia. Offenbar einer der Hausangestellten, denn er trug eine Livree.
Etwas indigniert sah der Mann auf die beiden barfüßigen Frauen hinab. „Kann ich den Damen behilflich sein?“ Sein sonorer Bass dröhnte in Xenias Ohren.
„Oh, das hoffe ich doch sehr!“ beeilte sich Xenia, bevor Aya wieder drauflos plapperte. Diese jedoch schien ganz andere Sorgen zu haben, denn in ihrem Gesicht spiegelte sich eine Mischung aus Erstaunen und Angst. Gebannt starrte sie den Mann an, was dieser höflich ignorierte.
„Wir suchen dringend Herrn Andretti“, sie entschied, in die Offensive zu gehen. „Wir hatten eigentlich vor, uns vor dem Essen noch etwas frisch zu machen, aber...“, der Mann verzog keine Miene, „dann haben wir uns verlaufen. Das ist alles so riesig hier“. Sie machte eine Kunstpause, ihre Gedanken rasten. Sie musste dringend eine glaubhafte Erklärung finden...
„Ich habe...“, Aya war aus ihrer Erstarrung erwachte und hatte scheinbar ausnahmsweise mal aufgepasst, „eine komische Gestalt draußen rumschleichen sehen“.
Xenia war, als ob sie eine kleine Regung im Gesicht des Bediensteten ausgemacht hätte.
„Uuuuuund“, Aya zog das Wort absichtlich in die Länge, „ich habe das hier“, sie hielt triumphierend das Kästchen in die Höhe, „gefunden“.
Die Augenbrauen des Mannes waren beim Anblick des Kästchens in die Höhe geschossen.
„Es blinkt und pie...“ Weiter kam Aya nicht, denn der Hüne hatte ihr das Kästchen aus den Händen gerissen und eilte an den beiden vorbei. Xenia meinte ein ‚Bleiben sie hier’ zu hören, ehe er um die nächste Ecke verschwand.
„Nanu? Wie unhöflich! Das ist mein Fund“. Aya stampfte ärgerlich mit dem Fuß. „Und was machen wir jetzt?“ Fragend drehte sie sich zu Xenia, die aber auch nur die Schultern zuckte.
„Keine Ahnung. Das ist alles ziemlich merkwürdig“. Bevor sie sich entscheiden konnten, was sie als nächstes tun sollten, kam ein weiterer Butler auf sie zu. Mit einer leichten Verbeugung blieb er vor ihnen stehen. „Wenn die Damen die Güte hätten, mir folgen zu wollen? Das Essen wird in Kürze serviert“.
Innerlich verfluchte Xenia Ayas verdammte Neugier. Warum in aller Welt passierte so etwas immer wieder? Warum konnte sie nicht ein Mal nichts anstellen? Xenia seufzte und schüttelte den Kopf.
Angesichts dieses riesigen Gebäudes und der Anzahl der verschiedenen Gänge war sie sich aber eh nicht sicher, ob sie hätten hier verschwinden können, wenn Aya bei ihr geblieben und nicht auf Erkundungstour gegangen wäre. Dieses Haus schien ein echter Irrgarten zu sein. Vermutlich war das auch der Grund, warum ihre Zimmertür nicht verschlossen gewesen war.
Sie seufzte ein weiteres Mal. Und wenn sie ehrlich war, verspürte sie auch einen riesigen Hunger.