Lonbraj jwe schrieb am 18-12-2011 15:17:23 :
Ableben
Die Nacht war lang gewesen als der Mann und seine Begleitung das große Casino, etwas außerhalb der Stadt in einem alten Industriegebiet gelegen, verließen. Im Westen tauchte über dem Horizont soeben das Zentralgestirn auf.
Fröhlich wirkten sie nicht, beide machten eher einen niedergeschlagenen Eindruck. Offensichtlich hatte das Glück sie in dieser Nacht verlassen. Und das Casino war nicht dafür bekannt, sich mit kleinen Beträgen abzugeben. Ganz im Gegenteil. Wer hier spielte, gehörte zu den oberen Hundert der High Society von Reebourn Major.
Das Casino war dafür bekannt, Millionäre noch reicher und noch viel mehr Millionäre zu armen Schluckern zu machen. Sein Ruf war weit über das Sarn-Raal hinaus bekannt und von überall her kamen die Reichen, um Nervenkitzel zu erleben oder einfach nur gegen die Langeweile anzukämpfen.
Der Mann blickte grimmig, während seine Frau ihn vorwurfsvoll ansah.
„Ja, ich weiß. Wir hätten aufhören sollen...“, er brach ab und beide schwiegen wieder, während sie auf ihr Fahrzeug warteten. Eine unangenehme Stille breitete sich aus.
„Wo blei...“, weiter kam er nicht, denn in diesem Moment durchbrach ein Geräusch wie das Splittern eines Knochen, gepaart mit dem Geräusch eines platzenden, mit Wasser gefüllten Ballons, gefolgt von einem markerschütternden Schrei, die Stille. Das zuvor blaue Abendkleid der Frau hatte ein unregelmäßiges Flecken- und Spritzermuster bekommen und war übersäht mit einer gallertartigen, klebrigen Masse.
Ihr Mann sank wie in Zeitlupe zu Boden, in seiner Stirn, genau zwischen den Augen prangte ein Loch, aus dem ein dünnes Rinnsal lief, der Hinterkopf fehlte.
Zum gleichen Zeitpunkt, etwa 700 Meter entfernt, im 5. Stock einen leeren Lagerhauses, richtete sich eine Gestalt auf, trat einen Schritt zurück und verschwand in der Dunkelheit des riesigen Gebäudes, verschmolz mit den Mauern, wie ein Schatten mit der Dunkelheit. Zurück blieb nur ein Häufchen Asche, das noch wenig zuvor ein Hochleistungspräzisionsgewehr gewesen war. Eine Windböe blies durch ein zerborstenes Fenster und wehte die letzten Reste der Beweise davon.
Etwa eine Woche später saß eine untersetzte Person tief an einen Schreibtisch in einem ziemlich teuer eingerichteten Büro gebeugt und schien vollends in ihre Unterlagen vertieft. Ein Blick über die Schulter offenbarte ganze Reihen von Zahlenkolonnen und Buchstaben, die nur geschulten Buchhaltern und Zahlenjongleuren ihre Geheimnisse offenbarten.
Der Raum war vollkommen abgedunkelt, nur das Flimmern des Monitors warf ein unruhiges Licht ins Zimmer und ließ die Umrisse der arbeitenden Person surreal erscheinen. Stille herrschte, nur unterbrochen vom gelegentlichen Klacken der Tastatur vor dem Bildschirm. Eine ziemlich altmodische Art, mit dem Computer zu arbeiten.
Die Person war so sehr in ihre Arbeit vertieft, dass sie nicht mitbekam, wie sich das Schott zum Gang mit einem leisen Zischen öffnete und gleich darauf wieder schloss. Erst als sich eine Hand auf ihre rechte Schulter legte, schreckte sie hoch und wirbelte in einer blitzartigen Bewegung herum. Sie starrte direkt in das Gesicht einer weiteren Person.
„Verdammt noch mal!! Willst du mich zu Tode erschrecken?!?“ Der Untersetzte fauchte sein Gegenüber an.
„Entschuldige, aber du hast auf kein Klopfen reagiert und die Sprechanlage scheint auch nicht zu funktionieren“. Der hilflose Ausdruck auf dem Gesicht verlieh dem Sprecher ein sonderbares Aussehen.
„Ich hatte doch gesagt, ich will nicht gestört werden. Du weißt doch, wenn ich mich in diesen Bürokram vertiefe, gibt es nichts anderes mehr“.
„Ja, ich weiß. Nochmals Entschuldigung. Aber du bist schon seit sechs Stunden hier drin und man hört und sieht nichts von dir“.
„Ich bin fast mit durch. Und nun, laß mich allein“.
Die zweite Person nickte, verharrte kurz, warf ihm einen liebevollen Blick zu und verließ dann den Raum so leise, wie sie ihn betreten hatte, während sich die erste wieder ihren Zahlen widmete.
Kurze Zeit später öffnete sich das Schott erneut. Diesmal war sie noch nicht so tief in die Materie versunken und bekam es mit. Langsam, mit einem tiefen Atemzug drehte sie sich herum. Doch das, was sie dem Ankömmling entgegnen wollte, blieb ihr im Hals stecken. Mit entsetzt geweiteten Augen sah sie nur eine im bläulichen Licht des Monitor funkelnde Klinge durch die Luft wirbeln.
Blut spritzte, wie an einer Linie gezogen, über den Bildschirm und mischte sich mit dessen Licht zu einem merkwürdigen Lila. Gurgelnd und röchelnd sank der Untersetzte nieder, der Kopf seltsam nach hinten klappend. Aus den durchtrennten Schlagadern pulsierte das Blut. Ein weiteres Mal sirrte die Klinge durch die Luft, verschwand gekonnt in ihrer Scheide.
Leise und fast ein wenig ehrfürchtig öffnete sich das Schott und eine dunkle Gestalt verschwand schattengleich aus dem Raum.