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es war einmal...

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Seher (*) schrieb am 17-04-2004 12:43:18 : Niedergang
Ich wußte, ich hätte vor dem Einschlafen nicht das Buch lesen sollen. Ich liebe Isaac Asimovs Foundation Trilogie, auch wenn seine sogenannte Science Fiction etwas sehr veraltet anmutet. Aber die grundlegenden Ansätze der Psychohistorik sind wirklich Klasse. Gut, sie sind nicht ausformuliert, aber Asimov war auf seine Art wohl der Begründer dieses Forschungszweiges.

Heutzutage sind wir in der Richtung ja schon ein beträchtliches Stückchen weiter. Die Differentialgleichungen, die einer zivilisatorischen Entwicklung zugrunde liegen, sind pinzipiell schon gefunden, auch wenn es noch einige Jahrzehnte dauern wird, bis die Parameterräume entsprechend bestimmt wurden. Wer hätte auch gedacht, daß eine Zivilisation sich eher wie ein thermodynamisches System verhält? Gut, die gelegentlichen Ausreißer, wenn wieder ein besonders kluger Kopf eine Idee formuliert hat, bereiten den Gesellschaftsmathematikern noch einige Sorgen, doch da sich die Entwicklung nach einem solchen Ausreißer asympthotisch wieder an den eigentlichen Verlauf anpaßt, ändert es nicht zwangsläufig etwas an dem eigentlichen Kurs.

Es ist schon erschreckend, daß in dem Gesamtsystem einer menschlichen Gesellschaft nur äußerst herausragende Individuen überhaupt einen statistisch relevanten Einfluß haben. Der einzelne Mensch kann im Prinzip machen was er will, die Philosophien und Grundlagen einer Gesellschaft gestaltet sein, wie sie möchten – jede Kultur bricht nach einem zyklischen Verhalten irgendwann zusammen und macht einer neuen Platz. Die Ursachen sind noch nicht genau erforscht, aber einige konnten schon identifiziert werden. In einer Hochkultur geht es den Menschen relativ gut. Die Folge daraus ist eine zunehmende Dekadenz gepaart mit einer Überalterung. Gleichzeitig erhöht sich die Bürokratie dieser Kultur bis zu einem gewissen kritischen Schwellenwert. Nach einer auf wenige Jahrzehnte genau berechenbaren Zeit, kommt ein erster Zusammenbruch des Systems. Irgendwann wird es sich erholen und zu neuer Größe aufsteigen, worauf es ein zweites und letztes Mal zusammenbrechen und in der Nebensächlichkeit versinken wird.

Interessant ist vor allem, daß man sich das Problem auf gewisse Weise visualisieren kann. Stellt man die Funktionen des menschlichen Massenverhaltens über einem Parameterraum dar, so erhält man eine Hyperfläche, die eine Art von Schleifen vollführt. Als was kann man sich den Parameterraum nun vorstellen? Im Grunde gibt dieser – wenn derzeit auch noch modellhaft stark vereinfacht – die politischen, gesellschaftlichen und philosophischen Prinzipien wieder. Eine Zivilisation bewegt sich in ihrer Entwicklung nun über diese Hyperfläche. Dabei ist der genaue Parameterraum prinzipiell egal. Die Hyperflächen über den verschiedenen Parameterräumen gleichen sich topologisch, so daß es nur zu kleineren numerischen Verschiebungen innerhalb der Entwicklung kommt. Die Kurve, der eine Zivilisation nun auf dieser Hyperfläche folgt, gelangt nach einer bestimmten Zeit an eine der Schleifen. Sie wird der Schleife auf dem zur der Zeit „höheren“ Ast folgen und dann an eine Stelle kommen, an der quasi ein Phasenübergang stattfindet. An diesem Punkt wird sie schlagartig einen kleinen Sprung machen und die Zivilisation bricht schließlich das erste Mal zusammen. Im weiteren Verlauf kommt es dann zu einem zweiten, etwas anders gelagerten Durchlauf, nach dem der vollständige Zusammenbruch erfolgt und zumeist ein Wechsel des Parameterraums stattfindet. Gut, das Ganze ist stark vereinfacht dargestellt und derzeit arbeitet die Forschung an einer Entwicklung eines umfassenden Parameterraumes, der für alle menschlichen Zivilisationen gleich ist und auch die Übergänge zwischen verschiedenen Systemen beschreiben kann. Doch vom eigentlichen Prinzip her ändert sich nicht viel.

Was hat das nun alles mit meinem Traum zu tun? Ganz einfach, aufgrund Asimovs Ideen hat sich mein Hirn wahrscheinlich wieder mit solcherart Problemen befaßt und mir ist ein kürzlich geführtes Gespräch mit einem Freund wieder eingefallen, der auf diesem Gebiet arbeitet. Er hat mithilfe einiger Mitarbeiter unser derzeitiges System als Parameterraum entworfen und mittels Umfragen und massenpsychologischer Untersuchungen die momentan geltende Kurve auf der Hyperfläche erstellt. Der Extrapolation zufolge wird es in den nächsten Jahren zu einem heftigen Zusammenbruch kommen. Dadurch, daß das All nach der Wiederaufnahme der Raumfahrt noch innerhalb der momentanen Zeitperiode neu besiedelt wurde, wurde die Hyperfläche durch die Aufbruchsstimmung künstlich verändert. Die Diskrepanz, die durch den Phasenübergang an der Schleife entsteht, wurde dadurch erhöht. Es ist also mit einem erhöhten Fall zu rechnen, sobald der Zusammenbruch stattfindet.

Und genau das habe ich in meinen Träumen gesehen. Zwischen den einzelnen fabenprächtigen Projektionen der Hyperfläche auf Teile des Parameterraums sah ich deutlich die Veränderungen, die uns bevorstehen. Meine blühende Phantasie extrapolierte die Leiden und die Unruhen, die sich aus dem Zusammenbruch entwickeln würden. Chaotische Zustände würden folgen. Der Phasenübergang kann konkret nur eines bedeuten. Nachdem sich derzeit ein hochdemokratisches System etabliert hat, die planetaren Regierungen sich aber immer stärker auf automatische Verteidigungsschemata berufen, wird das derzeitig zu bürokratische und vor allem durch das persönliche Wohlergehen geprägte System anfällig und schließlich instabil werden. Es wird egal sein, ob der letztendliche Todesstoß schließlich durch äußere Einflüsse oder die inneren Spannungen kommen wird. Das Ergebnis wird immer das gleiche sein. In dem Machtvakuum werden sich einige Skrupellose hervortun, die schließlich eine tyrannische Herrschaft etablieren werden. Wer dies nun genau sein wird, kann natürlich noch nicht gesagt werden. Aber es wird einen – oder sogar mehrere – geben.

Leider schlagen die meisten Politiker die Warnungen der Psychohistoriker kategorisch in den Wind – genau wie bei Asimov. Sie haben einfach zu wenig Ahnung von der Mathematik und sind zu sehr von ihrer eigenen Wichtigkeit überzeugt, als daß sie sich als austauschbar ansehen könnten. Es ist aber auch schwer zu begreifen, daß das persönliche Verhalten nur in Ausnahmefällen eine große Wirkung hat – und selbst dann folgen die Resultate prinzipiell gewissen Kurven und erzeugen nur vorrübergehende Ausreißer. Der Mensch mag als Individuum sehr komplex und schwer zu begreifen sein. Aber in der Masse folgt er quasi statistischen Prozessen. Ganz wie die Thermodynamik, in der das Verhalten der einzelnen Teilchen auch irrelevant ist. Einzig die makroskopischen Variablen zählen.

Mir läuft immer noch ein Schauer über den Rücken, wenn ich an die grausamen Bilder denke, die sich mein Verstand so ausgedacht hat. Die vielen Toten, der Schrecken, die Zerstörung. Nur als grobe Übersicht quasi schwebend über dem Land, so daß ich die einzelnen Opfer nicht genau erkennen kann. Doch dadurch wird es nicht leichter, denn so sehe ich die Schlachtfelder als Ganzes. Kleine verrenkte Körper, die vor den anrückenden Angreifern in tiefen Bombenkratern Deckung gesucht hatten – ohne Erfolg. Immer noch brennende Städte, aus deren Randgebieten Menschen zu Tausenden ins Ungewisse fliehen. Mir ist bewußt, daß allenfalls 10% die nachfolgende Zeit überleben wird. Ohne Nahrung oder andere Versorgung, werden sie bald sterben.

Ich schaue mit Bangen in die Zukunft. Aber noch gibt es einen Hoffnungsschimmer, daß es nicht überall so werden wird. Das Projekt, an dem ich arbeite wird, wenn wohl auch nur in einem Teil des Alls gerade dafür eine Lösung finden. Ich bin mir sicher, daß zumindest in diesen Teilen bald Frieden herrschen wird. Doch bis dahin ist es noch ein langer Weg und ich hoffe, daß wir nicht zu lange brauchen werden.

Aber da ich nun schonmal wach bin und wohl nicht wieder einschlafen kann, werde ich einfach duschen gehen und mich danach weiter mit dem Projekt beschäftigen. Ich sehe gerade eine Sequenz vor mir, die ich noch unbedingt abändern muß. Ansonsten wird es Instabilitäten in dem bioelektrischen Interface geben und das wäre fatal. Wenn ich doch nicht so wichtig für diese Arbeit wäre. Derzeit wüßte ich keinen Menschen, der meine Arbeit auch nur annähernd so gut verstehen würde, um sie fortsetzen zu können. Ich muß mich ernsthaft beeilen. Ein Unfall oder dergleichen würde das gesamte Projekt gefährden.

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