Eve [NS] schrieb am 02-02-2005 19:12:43 :
Rede an das Juna'sche Volk
Eve:
Mitbürger! Freunde! Hört mich an: Begraben will ich Balder, nicht ihn preisen. Was Menschen Übles tun, das überlebt sie; das Gute wird mit ihnen oft begraben. So sei es auch mit Balder! Der ehrenwerte Rotsh hat Euch gesagt, dass er voll Herrschsucht war; und war es das, so war’s ein schwer Vergehen, und schwer hat Balder auch dafür gebüßt. Hier, mit des Rhotsh’ Willen und der andern (denn Rotsh ist ein ehrenwerter Mann, das sind sie alle, alle ehrenwert) komm ich, bei Balders Leichenzug zu reden. Er war mein Freund, war mir gerecht und treu; doch Rotsh sagt, dass er voll Herrschsucht war, und Rotsh ist ein ehrenwerter Mann, er brachte viel Gefangene heim nach Juna, wofür das Lösegeld den Schatz gefüllt. Sah das der Herrschsucht wohl am Balder gleich? Wenn Arme zu ihm schrien, so weinte Balder: Die Herrschsucht sollt aus stärkerm Stoff bestehn. Doch Rotsh sagt, dass er voll Herrschsucht war, und Rotsh ist ein ehrenwerter Mann. Ich will, was Rotsh sprach, nicht widerlegen; ich spreche hier von dem nur, was ich weiß. Ihr liebtet all’ ihn einst nicht ohne Grund: Was für ein Grund wehrt Euch, um ihn zu trauern? - O Urteil, du entflohst zum blöden Vieh, der Mensch ward unvernünftig! - Habt Geduld! Mein Herz ist in dem Sarge hier beim Balder, und ich muß schweigen, bis es mir zurückkommt.
Noch gestern hätt’ umsonst dem Worte Balders die Welt sich widersetzt: nun liegt er da, und der Geringste neigt sich nicht vor ihm. O Bürger! Strebt’ ich, Herz und Mut in Euch zur Wut und zur Empörung zu entflammen, so tät’ ich Lord Byron und Rotsh Unrecht, die Ihr als ehrenwerte Männer kennt. Ich will nicht ihnen Unrecht tun, will lieber dem Toten Unrecht tun, mir selbst und Euch, als ehrenwerten Männern, wie sie sind. Doch seht dies Pergament mit Balders Siegel; ich fand’s bei ihm, es ist sein letzter Wille! Vernähme nur das Volk dies Testament (das ich, verzeiht mir, nicht zu lesen denke), sie gingen hin und küßten Balders Wunden und tauchten Tücher in sein heil’ges Blut, ja bäten um ein Haar zum Angedenken, und sterbend nennten sie’s im Testament und hinterließen’s ihres Leibes Erben zum köstlichen Vermächtnis.
Seid ruhig, liebe Freund’! Ich darf’s nicht lesen, Ihr müßt nicht wissen, wie Euch Balder liebte. Ihr seid nicht Holz, nicht Stein, Ihr seid ja Menschen; drum, wenn Ihr Balders Testament erführt, es setzt’ in Flammen Euch, es macht’ Euch rasend. Ihr dürft nicht wissen, daß Ihr ihn beerbet; denn wüßtet Ihr’s, was würde draus entstehen?
Bürger:
Lest das Testament! Wir wollen’s hören, Eve. Ihr müßt es lesen Balders Testament!
Eve:
Wollt Ihr Euch wohl gedulden? Wollt Ihr warten? Ich übereilte mich, da ich’s Euch sagte, ich fürcht’, ich tu’ den ehrenwerten Männern zu nah, durch deren Dolche Balder fiel; ich fürcht es.
So zwingt Ihr mich, das Testament zu lesen? Schließt einen Kreis um Balders Leiche denn! Ich zeig’ Euch den, der Euch zum Erben machte. Erlaubt Ihr mir’s? Soll ich hinuntersteigen?
Wofern Ihr Tränen habt, bereitet Euch, sie jetzo zu vergießen! Diesen Mantel, Ihr kennt ihn alle; noch erinnere ich mich des ersten Males, dass Balder ihn trug in seinem Zelt, an einem Sommerabend - hier - schauet! - fuhr des Maedros’ Dolch hinein! Seht, welchen Riss der tück’sche Shel machte! Hier stieß der vielgeliebte Rotsh durch; und als er den verfluchten Stahl hinwegriss, schaut her, wie ihm das Blut des Balders folgte. O meine Bürger, welch ein Fall war das! Da fielet Ihr und ich; wir alle fielen, und über uns frohlockte blut’ge Tücke. O ja! Nun weint Ihr, und ich merk’, Ihr fühlt den Drang des Mitleids: dies sind milde Tropfen, wie? Weint Ihr, gute Herzen, seht Ihr gleich nur Balders Kleid verletzt? Schaut her! Hier ist er selbst, geschändet von Verrätern.
Ihr guten lieben Freund’, ich muß Euch nicht hinreißen zu des Aufruhrs wildem Sturm; die diese Tat getan, sind ehrenwert. Was für Beschwerden sie persönlich führen, warum sie’s taten, ach! - das weiß ich nicht. Doch sie sind weis’ und ehrenwert und werden Euch sicherlich mit Gründen Rede stehn. Nicht Euer Herz zu stehlen komm’ ich, Freunde: ich bin kein Redner, wie es Rotsh ist, nur, wie Ihr alle wisst, eine schlichte Frau, dem Freund ergeben, und das wussten die gar wohl, die mir gestattet, hier zu reden. Ich habe weder Witz noch Wort noch Gaben, noch Kunst des Vortrags, noch die Macht der Rede, der Menschen Blut zu reizen; nein, ich spreche nur geradezu und sag’ Euch, was Ihr wisst. Ich zeig’ Euch des geliebten Balders Wunden; die armen, stummen Munde, heiße die statt meiner reden.
Balder.
Das war ein Clanleader: wann kommt seinesgleichen?