RPG

Wie lange ist es her, dass er Rahel das letzte Mal gesehen hatte? Vier Wochen, sechs Wochen? Auf seine wenigen Kontaktversuche hatte sie nicht reagiert. Und selbst gemeldet hatte sie sich auch nicht.

Reynor hatte ihm dann im Vorbeigehen die Ghostbar als angenehmen Ort der Ablenkung und des Vergessens empfohlen. Dass er auf die Besitzerin scharf war wie Nachbars Lumpi war kein Geheimnis, doch warum nicht ein bißchen Kurzweil suchen? Und so hatte er sich hier in eine Ecke und dann in seine Gedanken verzogen. Ab und an trinkt er einen Schluck Wasser, welches ihm die Kellnerin höchst skeptisch serviert hatte.

Und nun hat er den Salat, wenn er sich mal unter Menschen wagt: ihm gegenüber hat eine zweifelsohne überaus attraktive Frau Platz genommen. Ein kurzes Kleid hat sich beim Hinsetzen bewusst verschoben oder vielmehr verschieben lassen, um den Blick auf die langen Beine zu lenken. Im ersten Moment musste er an Rahel denken. Doch dann...mandelförmige Augen und hohe Wangenknochen? So.

„Ich werde nicht um Entschuldigung für mein Hiersein bitten. Sie scheinen ein wenig Ablenkung gebrauchen zu können. Wie ich. Mein Name ist…“ Noch bevor sie den Satz beenden kann unterbricht er sie barsch.
„Interessiert mich nicht. Gehen Sie.“
Sie stutzt kurz, und fährt dann fort...“...Leea Quanah. Und ich suche einen Mentor.“
„Was wollen Sie von mir?“ Genervt erhebt er sich, um das Lokal zu verlassen.
„Sie sind doch vom Thenta Ma´Kur, oder?“ Ihr Gegenüber bleibt eine Antwort auf diese rhetorische Frage schuldig, hält jedoch im Aufbruch inne. „Gut, das habe ich mir gedacht. Ich möchte bei Ihnen in die Lehre gehen.“

„Bitte?“ Er kann nicht verhindern, dass ihm dieses Anliegen die Gesichtszüge entgleiten lässt. Welch absurde Idee.
„Verstehen Sie mich nicht falsch, ich finde Sie sehr attraktiv, aber im Sinne eines möglichen Mentors, eines Lehrers. Ich möchte Ihr Handwerk erlernen, und das beim Thenta Ma´Kur, über den ich schon einiges gelesen habe, bei meinen Recherchen nach einem geeigneten Verbund.“
„Warum sollte ich das tun, Ihnen den Lehrmeister mimen? Ich bin dafür denkbar schlecht geeignet.“ Er wendet sich nun endgültig zum gehen, doch kurz vor der Tür hat sie ihn eingeholt und packt ihn erstaunlich fest am Oberarm.
„Weil mir Ihre Art gefällt und ich damit besser klar komme als mit 'nem Kerl, der mich nur permanent flachlegen will oder 'ner Frau, die mich als Konkurrentin für was auch immer ansieht. Wenn Sie wollen, können Sie ja noch einen Puffer jedweder Art dazu holen, aber bitte, nehmen Sie sich meiner an.“



Als er drei Stunden später wieder seine Assassine betritt, kann er sich nicht erklären, welche Teufel ihn geritten hatten, damit er dieser Frau die Zusage gegeben hat, ihr die Handgriffe eines Piraten zu erklären. Zu erklären, was ein Schiff zu leisten im Stande ist und welche Punkte man bei welchen Aktionen zu berücksichtigen hatte. Er redet sich ein, dass es an der scheinbar dauerhaften Abwesenheit Rahels liegen musste und er sich schlicht nach Abwechslung sehnte. Dass diese Ablenkung nun langbeinig und attraktiv ist, muss ja nicht schaden.