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Noch bevor sie die Augen öffnete meldeten sich fürchterliche Kopfschmerzen. Verfluchter Rum. Wie können Smalls und Sully nur immer so scharf darauf sein? Der Entschluss, die Augen zu öffnen, entpuppte sich sehr schnell als Fehler. Der Raum, den Oxana unscharf zu sehen bekam, war hell erleuchtet und hatte weder mit dem schaukelnden Motorboot noch mit der dunklen Kammer etwas zu tun, die sie erwartet hatte. Ihre Kopfschmerzen kamen auch nicht vom übermäßigen Rumgenuss, sondern vermutlich von der Droge, die man ihr injiziert hatte. Das Sich-Betrinken mit Rum war bis dato eine unangenehme Erinnerung gewesen, doch im Vergleich zu ihrer derzeitigen Lage erschien es ihr seltsam erstrebenswert.
Sie fuhr sich mit den Händen an die Schläfen, um zu fühlen, welchen Umfang ihr Kopf hatte. Ihr ‘Kopfgefühl’ sagte ihr, dass eine normale Kabinentür durchaus ein ernstes Hindernis darstellen könnte, doch ihre Hände bestätigten diese Angst nicht. Ihre Hände? Oxana blinzelte mehrfach gegen die Helligkeit des Raumes und fokussierte ihren Blick auf ihre Finger.

Erleichtert atmete sie auf - ihre Arme waren nicht mehr unbequem auf dem Rücken gefesselt, und auch der Knebel in ihrem Mund war verschwunden. Aber der schreckliche Geschmack lag ihr noch auf der Zunge, und statt der Schmerzen in den Schultern und Handgelenken hatte sie nun Kopfschmerzen.

Außerdem war ihr übel. Nein, nicht nur übel - ihr war schlecht! Ihr Magen revoltierte; sie spürte, wie sich alles in ihr verkrampfte. Trotz der stechenden Kopfschmerzen stand sie auf, blickte sich hektisch suchend in dem ihr fremden Raum um; sie suchte nach einer Tür, die hoffentlich in ein Bad führen würde. Oxana machte ein paar vorsichtige Schritte in Richtung eines Durchgangs, von dem sie hoffte, dass es sie zu ihrem Ziel führen würde. Die Bewegung, die ihr Magen machte, war dagegen weniger vorsichtig, sondern sehr bestimmt. Er zog sich zusammen und drückte seinen Inhalt zurück dahin, woher er gekommen war - nur diesmal rückwärts. Oxana konnte sich nicht erinnern, was sie als Letztes gegessen hatte; sie konnte sich nicht mal erinnern, wann sie das letzte Mal etwas gegessen oder getrunken hatte - und sie wollte es auch gar nicht. Alles was sie im Moment wollte, war sich von der Übelkeit zu befreien.

Zitternd, die Hand vor den Mund gepresst, stolperte sie auf die Tür zu, die sich mit einem leichten Ruck vor ihr öffnen ließ. Oxanas Blick fiel auf einen steril wirkenden Raum, abwaschbare Oberflächen, hell...und zu ihrer großen Erleichterung mit einer Toilette. Kaum hatte sie ihr Ziel erreicht, da spürte sie, wie ihre Beine unter ihr nachgaben. Schnell kniete sie sich vor die Toilette, strich sich die Haare zurück und begann, ihre Übelkeit hinaus zu spucken.

Entkräftet, über die Toilette gebeugt, machten ihre Gedanken wirre Sprünge.
Ob sich Charo während ihrer Schwangerschaft mit den Zwillingen auch so übel gefühlt hat? Oder Andy Pellaeon, nachdem er ein unfreiwilliges Bad im NLS Rumfass genommen hatte? Oh, nein, nicht schon wieder an Rum denken...

Für einige Augenblicke war erneut nur das Würgen der Piratin zu hören. Nachdem auch das irgendwann ein Ende hatte, sackte Oxana zur Seite, lehnte sich schwer atmend mit dem Rücken an die Wand und schloss gedemütigt die Augen.
Plötzlich knackte leise irgend ein Lautsprecher und dann hörte sie eine Stimme, die die Passagiere begrüßte und ihnen eine schöne und angenehme Reise wünschte. Vor Zorn hätte Oxana am liebsten aufgeschrien, aber ihre bohrenden Kopfschmerzen verhinderten einen solchen Wutausbruch. Stattdessen legte sie ihre Handflächen auf den kühlen Boden und versuchte, sich langsam wieder aufzurichten.

Als kurz darauf eine andere ihr durchaus bekannte Stimme ertönte, da gaben ihr die Knie wieder nach. Diesmal allerdings nicht vor Schwäche oder Übelkeit, sondern vor Freude. Was sie hörte, ließ ihr Herz schneller schlagen und zauberte ihr ein Lächeln ins Gesicht.

“Achtung, hier spricht Dave. Ich möchte meiner geliebten, öhm... Kathrin etwas mitteilen und ich möchte, dass ihr alle Zeugen seid. Kathrin, mein Schneckchen, nie wieder sollst du allein hinauf zu den Sternen schauen. Nie wieder allein aufs Meer fahren und dem Rum frönen. Lass mich bei dir sein, dein Kater sein am nächsten Morgen. Ich werde da sein und dich auffangen, wenn du wieder auf dem Dachstuhl im Bootshaus festsitzt. Ich kann und will nich mehr ohne dich sein... Willst du mich heiraten?!?
Hmm, wo gehtn das hier au...“

Trotz ihrer misslichen Lage musste Oxana lachen. Da Dave von ihrem Erlebnis im Dachstuhl des Bootshauses nichts wissen konnte, war der Piratin klar, dass Dave nicht allein an Bord war. Die einzige Person, der sie dies und einige andere ‘Geheimnisse’ anvertraut hatte, war Blake! Sie kam nicht umhin, Blakes Weitsicht zu bewundern. Er konnte zwar nicht wissen, dass Oxana auch wirklich an Bord der ‘Caracas Nights’ war, aber er schien es mit großer Sicherheit anzunehmen. Und mit der Durchsage über die Bordsprechanlage ließ er sie wissen, dass er selbst, Dave und auch Kathrin an Bord waren und nach ihr suchen würden. Wie auch immer die drei anderen SGP-Mitglieder es angestellt hatten, die Sprechanlage für sich zu nutzen, Oxana war sehr dankbar, ein Zeichen von außerhalb zu bekommen; ein Hinweis, dass sie nicht allein war, und dass Freunde da waren und nach ihr suchten.

Jetzt musst du dir aber auch was einfallen lassen, wie du den Dreien ein Lebenszeichen von dir geben könntest.