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Sie wischte sich mit der Serviette die Lippen ab und lehnte sich dann zurück, blickte auf den Tisch vor sich. Ein Rest Obstsaft im Glas, Brotkrümel auf dem Teller und um ihn herum. Die kleine Schale mit Marmelade enthielt nur noch Reste. Ein wenig Käse war noch zu sehen, und die Überbleibsel von vielen exotischen Früchten. Sie hatte es sich schmecken lassen; dass ihr Hunger so groß war, hatte sie selbst nicht erwartet. Jetzt fühlte sie sich noch besser, als nach der Dusche vorhin. Der Gedanke an das warme Wasser und das flauschige Handtuch ließ sie leise aufseufzen.

Jetzt, wo du ein wenig erfrischt bist und ausgiebig gegessen hast, wird es Zeit, zu überlegen, wie es weiter geht.

Emilia stand auf und verließ den kleinen öffentlichen Speisesaal, ganz in der Nähe des Kindergartens. Nachdem sie ihren Sohn in die Hände gut geschulter, motivierter und fürsorglicher Betreuer für den Rest des Tages übergeben hatte, hatte sie sich entschlossen, nicht allein in ihrer Kabine zu frühstücken. Ihr war nach etwas Ablenkung und Geselligkeit. Leider schienen nicht viele Passagiere diesen Speisesaal zu nutzen, oder es lag an der doch noch recht frühen Tageszeit.

Das hier ist doch schließlich immer noch ein Urlaub für die meisten an Bord.

Dass ihr auf ihrem ziellosen Weg durch die Gänge der ‘Caracas Nights’ fast nur Besatzungsmitglieder begegneten, schien diesen Gedanken zu bestätigen. Sie traf Personal, das sich anschickte Kabinen zu reinigen; Personal, das Frühstück zu denen brachte, die die Intimität des Zimmerservices bevorzugten; und sie traf Personal, das einfach nur so da zu sein schien, ähnlich ziellos über die verschiedenen Decks streifte, wie sie es tat.

Sie hatte schon einige Zeit niemanden mehr getroffen und sie begann, sich darüber Gedanken zu machen, wo sie sich eigentlich befand, ob sie inzwischen einen Teil des Schiffs erreicht hatte, der die Unterkünfte der Besatzungsmitglieder beherbergte? Sie verlangsamte ihren Schritt, versuchte sich anhand von kleinen Hinweistafeln zu orientieren, doch in ihrer unmittelbaren Umgebung konnte sie keine entdecken. In einiger Entfernung, am Ende des kleines Ganges, in dem sie sich befand, schien eine der üblichen Tafeln zu hängen, also lenkte sie ihren Schritt darauf zu.

Emilia musste ein wenig schmunzeln, war es doch wenig verwunderlich, dass sie die Tafel nicht auf Anhieb hatte sehen können. Irgendwer vom Personal hatte eine delikate, reich verzierte Blumenvase so ‘geschickt’ auf einem kleinen Tisch platziert, dass die bunten Blüten den Großteil des Hinweisschildes verdeckten. Als sie die Blumen ein wenig zur Seite schieben wollte, geriet der Strauß mitsamt der Vase ins Schwanken und drohte, neben ihr auf dem Boden aufzuschlagen.

Erschrocken versuchte Emilia zu retten, was zu retten war - aber das war nicht besonders viel. Immerhin bekam sie die Vase an einem Henkel zu fassen, doch die Blumen raschelten zu Boden und Emilia erwartete, dass sich das Blumenwasser gleich auf ihre hübschen Stiefel ergießen würde. Als das typische Plätschergeräusch ausblieb, war sie doch ein wenig überrascht. Peinlich berührt über ihr Missgeschick, stellte sie die Vase mit zitternden Fingern zurück auf den kleinen Tisch. Dann kniete sie sich hinab, zu den über den Gang verstreuten Blumen.

Oh, wie peinlich. Hoffentlich hat das niemand mitbekommen! Zum Glück hab ich wenigstens noch die Vase festhalten können. Aber die armen Blum...Moment mal! Die sind ja gar nicht echt!

In ihren Fingern hielt sie die ersten Blumen von dem Strauß, dessen Reste bis um die Ecke in den nächsten Gang verstreut lagen. Sie sahen zwar täuschend echt aus, waren aber künstlich. Emilia musste schmunzeln. Hier hockte sie nun auf den Knien, sammelte Plastikblumen auf und begriff, warum sich kein Wasser über ihre Füße ergossen hatte.

Tja, Mädchen, da verirrst du dich hier auf dem wundervollen Schiff, reißt Blumen um und fängst ein Vase, die vermutlich gar nicht so kostbar ist, und sorgst dich um Plastikblumen. Da hast du ja noch mal Glück gehabt.

Doch manchmal spielt einem das Leben eben einen Streich und schlägt zu, wenn man schon gar nicht mehr damit rechnet.

”Was zur Hölle...?!” Der plötzliche Aufschrei einer Männerstimme hinter der am Boden hockenden Emilia.
”Au!” Der schrille Aufschrei derselben, als eben jener Mann über sie stolperte.
”Verdammt!” Der Fluch des Mannes, der gestolpert war und nun neben Emilia auf den Plastikblumen lag.

”Oh, nein. Oh, Verzeihung. Das, oh...ohoh...das, das, das tut mir so leid. Ich wollte...ich hab...mir war...Blumen...keine Absicht!” Pause. Erneutes Ansetzen zum Sprechen. Wieder Pause.

Der Mann war inzwischen schon wieder auf den Beinen und sammelte auf, was er aus den Armen verloren hatte. Anzughose, Hemd, Blazer, ein Paar Damenschuhe? Ein BH?? Ein Höschen???

Emilia, die aufgrund des Schrecks und der Unannehmlichkeiten, die sie befürchtete, eh schon kaum ein Wort rausbrachte, war nun völlig sprachlos. Was macht der Kerl mit so hübscher Damenwäsche hier auf dem Gang? Verwirrt schaute sie auf die nun zerdrückten Blumen, zu dem Mann vor ihr, zu der Unterwäsche, die er zwischen den anderen Kleidungsstücken zu verstecken versuchte, und wieder vor sich auf den Boden.

”Tut mir leid, ich kann das erklär...” Erneut eine Pause, aber diesmal kürzer, in der sie wie hypnotisiert wieder auf die Damenschuhe in der rechten Hand des Mannes schauen musste. ”Nein, kann ich doch nicht. Ich kann das nicht erklären!”

Der leicht geschockt wirkende Mann hob die rechte Hand, wollte eine beschwichtigende Bewegung machen. Doch dann wurde er sich der Schuhe bewusst, die er dabei schwenkte, und ließ die Hand schnell hinter seinem Rücken verschwinden.

”Alles Ok, nichts passiert. Sie müssen nichts erklären.” Damit wandte er sich um und ließ Emilia auf dem Boden sitzen. Als er schon einige Meter den Gang hinunter war, dreht er sich noch mal kurz um. ”Am Besten, Sie vergessen das Ganze schnell wieder. Ist ja nichts passiert.” Und dann verschwand er um die nächste Ecke.