Stories

Nemain hatte sich eine zwielichtige Ecke in der Bar ausgesucht und einen großen Cocktail bestellt. Groß lediglich, weil er wenig Lust hatte mehr als einmal mit dem Servicepersonal sprechen zu müssen und eventuell eine Weile bleiben würde, um zu lesen und sich an der Zeit entlang zu langweilen. Es war gleichgültig an welchem Ort – auf seinem Schiff oder in dieser Bar oder sonstwo – er weiter durch die trübe Jauche seiner depressiven Gedanken schwimmen würde, also blieb er. Ein großer Cocktail.


Die linke Hand um das kleine Datenpad schliessend, von dessen Display weiss auf schwarz sein Lesestoff flimmerte, lehnte sich der Raumpirat bequem zurück, legte beide Arme auf die Polsterlehne und fixierte das Glas mit dem bunten Alkoholgemisch vor sich.


Der Cocktail schmeckte übel. Warum hatte er das bestellt? Wollte er sich vergiften? Vergiften – ha! Ein schäbiger Tod. Verrenkt und vollgekotzt gefunden werden, vor Krämpfen zappelnt wie ein an Land geworfener Fisch langsam verenden. Die Vorstellung fühlte sich genauso beschissen an wie der Cocktail schmeckte.


„Hey da Pilot!“ - die jugendliche Mädchenstimme riss Nemain aus seiner eingebildeten Sterbeszene zurück in die Realität, bevor er zuckend seinen letzten Atemzug tun konnte.
„Verdammt du kleine Nutte, geh jemand anderem auf die Nerven“ - dachte er bei sich; „Geh weg!“, sagte er gereizt zu ihr.


Sie drehte sich ohne weiteren Kommentar auf dem Absatz herum während Nemain auf das Display seines Datenpads blickte und den ersten Satz nochmal las:
„Es war Mittag. Die ganze Straße brannte.“**
In diesem Mädchen brannte auch etwas. Verlangen in ihrem aufgesetzten Lächeln. Sie sah zu unsicher aus für eine käufliche Schlampe, nicht schmierig genug, zu wenig geschminkt. Verzweiflung in ihren hübschen Mädchenaugen. Also hatte sie etwas anderes vor. Vielleicht brauchte sie einen Flug ohne offizielle Tickets, ohne Check in auf einem Transferschiff. Der Pirat würde es herausfinden, ihm war langweilig und diese kleine Story würde ihn vielleicht eine Weile ablenken. Ausserdem sah sie aus, als hätte sie irgendwie etwas drauf. Nemain hatte ein unglaublich präzises Gespür für verstecktes Potenzial.


„Warte.“ Ein Blick auf ihren Rücken. „Wieviel?“
Eine Einigung liess nicht lange auf sich warten, kurze Zeit später befanden sich die beiden schon auf dem Weg zu dem kleinen Zimmer, gemietet für die 4 Tage seines Aufenthaltes auf der Raumstation. Nemain stellte belanglose Fragen um das beklemmende Schweigen auf den Stationsgängen zu brechen, auch wenn es ihn wenig interessierte wer das Mädchen überhaupt war. Interessant war lediglich, ob sie zu etwas taugte, vielleicht sogar zur Pilotin – aber das würde man ausprobieren müssen. Sie erinnerte ihn ein wenig an Natascha, das neue Mädchen von Carmen, ihre kleine Copilotin. Vielleicht würden die beiden sich gut verstehen, vielleicht passte Talent und Chemie. Das würde Carmen entlasten, Nemain war verärgert, wieviel Zeit Carmen mit der Kleinen zubrachte. Die Möchtegernschauspielerin in seinem Arm könnte also sogar doppelt lukrativ sein.


*In seinem Quartier angekommen machte Nemain es sich auf einem Sessel bequem und ließ sie in der Mitte des Raumes stehen. Er faltete die Hände, sah sie an und lächelte. Es war sein Lächeln, wenn er sich auf etwas freute. Genauso hatte es Natalie auch gedeutet, allerdings missverstand sie den Grund der Freude. Bevor sie sich weiter von der grotesken Situation verunsichern lassen konnte, oder der Pilot das Gespräch eröffnen konnte, zog sie den Blaster von ihrem Bein und zielte auf seinen Kopf.*


Nemain lächelte noch immer. Wie Kugeln aus dem Mündungsfeuer schossen Gedanken in seinen Kopf: „Schieß! Schieß! Schieß! Das ist ein angenehmerer Tod als sich selbst zu vergiften.“


Das Mädchen schien jetzt hart aussehen zu wollen.
"Wo steht dein Schiff du Wichser!"
Sie wirkte eher wie ein Stück Gummi, fragwürdig hart wenn es kalt ist, wabbelig weich eigentlich sonst immer. Sie könnte wahrscheinlich abdrücken, wenn sie einen echten Grund gehabt hätte, Nemain zu hassen. Wenn dieser Hass sie eisig verfroren hätte. Aber er kannte sie nichteinmal, sie hatte keinen Grund. Sie würde ihn nicht erschiessen. Schade eigentlich.


Das Mädchen begann Nemain nach seinen Schiffsdaten auszufragen und er antwortete bereitwillig. Und lächelte. Sie konnte also fliegen. Wie interessant. Sie glaubte tatsächlich, sie könne einfach so den Jäger eines Raumpiraten kapern und ihm davonfliegen ins Nirgendwo. Wie naiv.


Zum Abschluß kramte sie in ihrer spärlich besetzten Trickkiste, offensichtlich nach einem Schachzug um Nemain vom Gedanken an eine Verfolgung abzubringen. Sie kam nicht sehr tief in die Kiste, schoß an Nemain vorbei und laberte großspurig dazu. Wie abgegriffen. Ausgelutscht. Gelernt aus einem wirklich schlechten Film mit niveaulosen Schauspielern und knappem Budget.


Nemain blickte ihr nach, als sie hastig aus dem Zimmer stürzte.
„Auf bald“, murmelte er, „auf bald neue Pilotin der NRI...“




---------------------------OOC:
Grüße alter Freund. Ich hatte bisher keine Zeit gehabt deine Sachen zu lesen, aber wenn ich schonmal in jemandes Story erwähnt werde, kann ich das ja nicht unbeantwortet auf mir sitzen lassen. Ich hoffe es gefällt dir. Ich hoffe auch, dass ich dein Mädchen nicht in einer Weise dargestellt habe, die dir nicht zusagt.

Viel Erfolg beim Weiterschreiben, da muss ja noch etwas kommen, ich glaube dies hier ist schon eine Weile her nicht wahr?

Beste Grüße an alle, die aus meiner früheren Spielzeit immer noch hier sind. Frohes neues Jahr!


Anmerkungen:
**„Es war Mittag. Die ganze Straße brannte.“
Dieser Satz ist entliehen aus „Fieber“ von Tom Maurer. Sein Bucheröffnungssatz passte gerade zu gut und hat die ihm folgende Passage in meinem Kopf entstehen lassen.

*Die mit Stern eingeschlossene Passage habe ich passenderweise aus deinem Text übernommen.*
Faulheit siegt!