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Sie öffnete ihre Augen und blinzelte in das strahlende Blau des Himmels. Das Meer wiegte sie in einer sanften Umarmung und die Wellen rauschten beruhigend. Sie lächelte. Ich bin wieder hier… Das Lächeln wich einem verwirrten Stirnrunzeln. Halt mal, wo ist hier? Wo bin ich eigentlich?

He, du! , wurde sie von einem unerwarteten Ruf aus ihren Gedanken gerissen. Sie zuckte erschrocken zusammen, und die Wellen, die sie eben noch sanft getragen hatten, schlugen über ihr zusammen. Einen Moment war sie zu überrascht um überhaupt zu reagieren, dann aber setzten ihr Reflexe ein, und sie kam paddelnd und prustend wieder an die Oberfläche.

Neben ihr schaukelte ein Floß mit einem überdimensionalen Palmwedelsegel auf den Wellen. Als sie die Kante ergriff, streckte sich ihr eine Hand entgegen. Dankbar griff sie zu und hievte sich an Bord, wo sie hustend und nach Luft ringend auf dem Rücken liegen blieb. Ein Gesicht schob sich in ihr Blickfeld. Hallo? Geht es dir gut? Wer bist du? Ja, alles in Ordnung. Ich bin … ich … Wer bin ich eigentlich? … ich weiß es nicht, endete sie verwirrt. Ihr Retter blickte sie nachdenklich an. Du weißt es nicht? Sie schloss die Augen und durchsuchte ihren Geist nach einem Namen, einer Erinnerung, irgendetwas. Einen Moment lang war da auch etwas, aber als sie es greifen wollte, löste es sich auf wie Morgennebel über dem Meer wenn die Sonne aufgeht. Nein, sagte sie und schüttelte leicht den Kopf. Na ja, ich bin jedenfalls Tajo. Willkommen auf der Magic Island! Er streckte ihr die Hand entgegen und zog sie vom Boden hoch. Hallo, erwiderte sie, und danke für die Rettung. Sie schaute sich um und erblickte nichts als das endlose Meer ringsum. Wo sind wir eigentlich? Tajo sah sie prüfend an, als wollte er sichergehen, dass sie ihn nicht verschaukelte. Du bist auf Tana Iao, eine halbe Tagesreise von der nächsten Insel entfernt, und ich frage dich lieber gar nicht erst, wieso du mitten im Meer auf dem Rücken treibst und in den Himmel schaust. Sie dachte einen Moment nach, aber diesmal war da gar nichts, nicht einmal die Ahnung einer Antwort. Stumm schüttelte sie den Kopf. Na macht ja nichts, meinte er beruhigend, vielleicht findest du ja ein paar Antworten in dem Personal Assistant an deinem Handgelenk. Ich muss mich jetzt erst mal wieder um die Magic Island kümmern. Entschuldige mich bitte.

Es war Nacht geworden. Sie saß allein am Rande des Floßes mit einer Decke um die Schultern und blickte zu den Sternen hinauf. Tajo hatte sich schon vor Stunden zwischen den Kistenstapeln in der Nähe des merkwürdigen Segels schlafen gelegt. Sie aber verspürte keine Müdigkeit. Laut der digitalen ID in ihrem Personal Assistant war ihr Name Daleara, und sie stammte ursprünglich von hier, von Tana Iao. Das erklärte vielleicht, weshalb sich das Meer im ersten Moment so sehr nach Heimat angefühlt hatte. Der Name fühlte sich auch richtig an, aber sie konnte nicht sagen, ob das Gefühl auf verschütteten Erinnerungen beruhte oder nur auf der Erleichterung überhaupt irgendeinen Namen gefunden zu haben.

Der Assistant enthielt noch einige Newsfeeds von den üblichen großen Nachrichtenagenturen GNN und Galactic Times. Woher weiß ich eigentlich, dass das die üblichen sind?, fragte sie sich flüchtig, verfolgte den Gedanken aber nicht weiter. Ansonsten war das Gerät leer, keine Adressen, keine Daten, nichts. Sie vermutete oder hoffte, dass sich vielleicht versteckte Daten im Speicher befanden, hatte aber keine Ahnung wie man so etwas finden könnte. Sie hatte Tajo gefragt, aber er hatte nur gelacht und auf sein Floß gewiesen. Sieht das so aus, als ob ich mich mit Hightech auskenne? Die Magic Island hat ja noch nicht mal Strom. Sie lachte mit ihm. Auf unserem Floß hatten wir damals Solarenergie. Sie erinnerte sich noch genau an das silbrig glänzende Gewebe des Segels, in das Nanosolarzellen eingearbeitet gewesen waren...

Als ihr bewusst wurde, was sie gerade gesagt und gedacht hatte, hielt sie den Atem an. Ich war auch auf einem Floß! Mit anderen Menschen! Vielleicht mit meiner Familie? Angestrengt suchte sie nach weiteren Details und Gesichtern, aber kaum war sie sich der Erinnerung bewusst geworden, waren die Bilder zerstoben. Nur das silbrige Segel stand ihr immer noch vor Augen. Tajo hatte ebenfalls den Atem angehalten und schaute sie erwartungsvoll an. Aber sie schüttelte nur leicht den Kopf.

Die meisten Flöße haben Solarsegel, sagte Tajo nach einer Weile. Ich verzichte lieber darauf. Er zwinkerte ihr verschmitzt zu. Du weißt schon, ein Mann und sein Floß allein gegen das Meer. Gegen ihren Willen musste sie lachen. Und wie finden der Mann und das Floß ohne Navigations- oder Kommunikationsgerät ihren Weg über das besagte Meer? Hm, Tajo dachte einen Moment ernsthaft nach, ich weiß nicht. Oder besser gesagt, ich weiß es einfach. Du weißt schon, … die Strömung, der Wind, die Sterne und die Sonne. Ich muss da irgendwie gar nicht drüber nachdenken. Ich weiß es einfach.

Diese Worte klangen in Daleara’s Ohren nach als sie jetzt ihren Blick über die tiefdunkle See schweifen ließ. Ich könnte das nicht. Für mich sehen die endlosen Wellen alle gleich aus. Sie ließ sich zurücksinken und betrachtete die Sterne, die so hell und klar und zahllos am Himmel standen, wie man es nur auf einem kaum besiedelten Planeten wie Tana Iao zu sehen bekommt. Da oben, dachte sie schläfrig, da wäre das was anderes. Zwischen diesen vielen Wegmarken kann man sich gar nicht verfliegen. Die Augen fielen ihr zu, und sie ließ sich langsam in den Schlaf gleiten.

Doch plötzlich setzte sie sich wieder auf und starrte nichts sehend über die Wellen. Ihr Herz hämmerte unnatürlich laut in ihrer Brust. Das ist es! Ich besorge mir ein Raumschiff und dann auf zu den Sternen. Sie blickte hinauf und ließ sich wieder zurück sinken. Ihr Herzschlag beruhigte sich langsam, während sie tief atmete und den Gedanken von allen Seiten beleuchtete. Er gefiel ihr immer besser. Schließlich kuschelte sie sich unter ihrer Decke zusammen und glitt zufrieden in Träume vom Fliegen hinüber. Ich bin sicher, ich habe dieselbe Entscheidung schon einmal getroffen, war ihr letzter klarer Gedanke.

Déjà Vu…